«Mein Gedächtnis spielt Streiche» – Wie das Gehirn im Alter arbeitet | silberFuchs

«Mein Gedächtnis spielt Streiche» – Wie das Gehirn im Alter arbeitet

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Erinnerungen verschwinden, Entscheidungen fallen schwerer, und manchmal fragt man sich: „Lässt mein Gehirn nach?“ Die gute Nachricht: Unser Gehirn altert zwar, doch es verliert nicht automatisch seine Leistung. Es funktioniert anders – und kann im Alter sogar neue Stärken entfalten.

Von Kindesbeinen an lernt unser Gehirn unermüdlich: Sprachen, motorische Fähigkeiten, soziale Regeln. In jungen Jahren verarbeitet es Informationen besonders schnell, bildet viele neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen und speichert Neues mühelos.

Mit zunehmendem Alter verändert sich das Gehirn langsam. Die Anzahl der Nervenzellen nimmt nur leicht ab, aber die Verbindungen zwischen ihnen werden dünner und weniger flexibel. Besonders betroffen sind Regionen wie der Hippocampus, der für das Kurzzeitgedächtnis wichtig ist, und der präfrontale Kortex, der uns beim Planen, Entscheiden und Problemlösen unterstützt. Die evolutionär jüngsten Bereiche des Gehirns bauen sich dabei am schnellsten zurück.

Zellen und Gene – ein Blick ins Innere

Auf der Ebene einzelner Zellen passiert noch mehr: Forschende vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie haben untersucht, wie sich die Aktivität von Genen im Gehirn über die Lebensspanne verändert. Dabei zeigte sich, dass vor allem Gene, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen und für die Herstellung wichtiger Eiweisse zuständig sind, im Alter weniger aktiv werden. Diese Veränderungen können erklären, warum Gedächtnis und Denkprozesse manchmal langsamer werden – und liefern gleichzeitig Hinweise, wie man das Altern des Gehirns und Erkrankungen wie Alzheimer möglicherweise verzögern könnte.

Kristalline Intelligenz – neue Stärken im Alter

Trotz dieser Veränderungen bleibt das im Laufe des Lebens gesammelte Wissen gut zugänglich. Ältere Menschen sind oft besonders stark in Sprache, Wortschatz und im Erkennen komplexer Zusammenhänge – ein Phänomen, das als kristalline Intelligenz bezeichnet wird.

Das Gehirn gleicht altersbedingte Defizite aus: Bereiche, die früher andere Aufgaben hatten, können im Alter neue Funktionen übernehmen. So bleibt unser Denken flexibel. Wir können trotz kleinerer Gedächtnislücken weiterhin Entscheidungen treffen, Probleme lösen und kreativ sein. Neue Verbindungen zwischen Nervenzellen entstehen besonders dann, wenn wir unser Gehirn regelmässig fordern – durch Lernen, soziale Kontakte oder das Meistern neuer Herausforderungen.

Vergesslichkeit – normal oder Warnsignal?

Kleine Aussetzer beim Erinnern sind normal. Wer den Haustürschlüssel vergisst oder den Termin beim Arzt übersieht, muss sich keine Sorgen machen. Stress, Erschöpfung, Flüssigkeitsmangel oder Medikamente können die Erinnerung zusätzlich beeinflussen.

Ältere Frau hält Hand anstrengend an Kopf

Problematisch wird es, wenn grundlegende Fähigkeiten wie das Bedienen vertrauter Geräte oder das Erkennen nahestehender Personen beeinträchtigt sind. Solche Veränderungen sollten ärztlich abgeklärt werden – sie können Anzeichen für Demenz sein.

Evolution zahlt ihren Preis

Neuere Studien, unter anderem am Institut für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich unter der Leitung von Felix Hoffstaedter, zeigen: Die Bereiche des menschlichen Gehirns, die sich evolutionär zuletzt entwickelt haben, altern besonders schnell. Dazu zählt vor allem der präfrontale Kortex, zuständig für Entscheidungen, Problemlösungen und komplexes Denken.

Vergleiche mit Schimpansen verdeutlichen, dass ähnliche Gehirnregionen bei beiden Arten altern. Bei Menschen jedoch zeigen genau die neu entwickelten Areale die grössten Alterungseffekte. Dieses Prinzip wird in der Forschung als „Last in, first out“ beschrieben: Was zuletzt im Gehirn entstanden ist, baut sich auch zuerst wieder zurück.

Trotz dieser Veränderungen verläuft die gesunde Alterung langsam. Sie unterscheidet sich in Tempo und Ausmass von neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz, deren frühe Stadien teilweise ähnlich aussehen, aber deutlich schneller voranschreiten.

Lebensstil und Umwelt – Einfluss auf das Gehirnalter

Nicht nur die Gene bestimmen, wie schnell das Gehirn altert. Eine Studie aus Chile hat gezeigt, dass Lebensweise, Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte und Umweltbedingungen einen messbaren Einfluss auf das sogenannte „Hirnalter“ haben – also darauf, wie alt das Gehirn im Vergleich zum tatsächlichen Lebensalter erscheint.

Die Forschenden stellten fest, dass Menschen in Regionen mit grösserer sozialer Ungleichheit tendenziell schneller kognitive Einbussen erleben. Besonders Frauen waren in diesen Ländern stärker betroffen als Männer. Gleichzeitig zeigte die Studie, dass ein aktiver Lebensstil, regelmässige Bewegung, ausgewogene Ernährung und soziale Einbindung den Alterungsprozess des Gehirns verlangsamen und die geistige Leistungsfähigkeit länger erhalten können.

Altern heisst nicht Nachlassen

Das Gehirn altert, aber es verliert nicht automatisch seine Leistung. Vielmehr verändern sich Schwerpunkte und Fähigkeiten. Manche Funktionen werden schwächer, andere stärker. Wer neugierig bleibt, Neues lernt, sich bewegt und soziale Kontakte pflegt, kann seine geistige Leistungsfähigkeit über viele Jahre erhalten.

Gehirntraining ist effektiv, wenn es neue Herausforderungen bietet. Rätsel wie Sudoku sind hilfreich, doch am besten lernt das Gehirn durch echte, komplexe Aufgaben und sozialen Austausch. Neue Lerninhalte stimulieren die Bildung von Nervenzellen und Synapsen – ähnlich wie Bewegung Muskeln stärkt. Auch körperliche Aktivität, ausgewogene Ernährung und regelmässige soziale Kontakte tragen dazu bei, dass das Gehirn im Alter fit bleibt.

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