Berührungen schenken Nähe, Trost und Sicherheit – ein menschliches Grundbedürfnis, das nie aufhört. Und doch werden sie im Alter seltener. Warum das gefährlich ist, welche Kraft Berührung wirklich hat und wie wir mehr davon in den Pflegealltag bringen können.
Der Mensch ist ein soziales Wesen – und Berührung gehört zu seinen grundlegendsten Bedürfnissen. Schon kurz nach der Geburt ist sie lebensnotwendig: Babys, die nicht gehalten und gestreichelt werden, zeigen Entwicklungsverzögerungen oder geraten sogar in Lebensgefahr. Doch was in der frühen Kindheit selbstverständlich ist, verliert im Laufe des Lebens an Selbstverständlichkeit – besonders im Alter.
Ältere Menschen erleben häufig einen zunehmenden Mangel an Berührung. Der Lebenspartner verstirbt, Freundeskreise schrumpfen, soziale Kontakte werden seltener. Dabei bleibt das Bedürfnis nach Nähe erhalten – unabhängig von Alter oder Gesundheitszustand.
Was eine Berührung im Körper auslöst
Eine bewusste, achtsame Berührung ist wie eine leise Botschaft an das Nervensystem: „Du bist nicht allein.“ Die Haut, unser grösstes Sinnesorgan, reagiert sensibel auf jede Art von Kontakt. Sanfte Reize aktivieren spezielle Nervenfasern, die sogenannte C-taktile Afferenzen, die direkt mit den Bereichen im Gehirn verbunden sind, die für emotionale Verarbeitung und Wohlgefühl zuständig sind.
Das führt zur Ausschüttung von Oxytocin, auch bekannt als „Kuschelhormon“. Es wirkt beruhigend, senkt den Blutdruck, reduziert Stresshormone wie Cortisol und fördert ein Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit. Gleichzeitig wird die Schmerzverarbeitung positiv beeinflusst – nicht umsonst sagt man: „Eine liebevolle Berührung tut einfach gut.“
Gesundheitliche Vorteile: Berührung wirkt ähnlich wie Medizin
In einer zunehmend technisierten Welt wird oft unterschätzt, welche medizinische Wirkung eine einfache Umarmung oder eine sanfte Hand auf der Schulter haben kann. Studien zeigen, dass regelmäßiger Körperkontakt folgende positive Effekte hat:
- Stärkung des Immunsystems: Menschen mit engem sozialen Kontakt und regelmässiger Berührung sind seltener krank.
- Senkung von Blutdruck und Puls: Besonders bei älteren Menschen kann dies das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern.
- Bessere Schlafqualität: Körperkontakt, besonders vor dem Schlafengehen, fördert den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus.
- Schmerzlinderung: Die Aktivierung körpereigener Endorphine reduziert das Schmerzempfinden.
- Weniger Angst und depressive Symptome: Körperliche Nähe wirkt emotional stabilisierend.
Diese Effekte treten nicht nur bei vertrauten Personen auf – auch eine achtsame Berührung durch Pflegekräfte oder Therapeuten kann einen spürbaren Unterschied machen.

Wenn Berührung fehlt – stille Not im Alter
Die Folgen fehlender Berührung im Alter sind tiefgreifend – psychisch wie körperlich. Viele ältere Menschen leiden unter einem chronischen „Berührungsmangel“, ohne dass dies offen thematisiert wird. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Verlust des Partners oder sozialer Rückzug
- Berührungsängste auf beiden Seiten – Unsicherheit, was erlaubt oder gewünscht ist
- Pflege unter Zeitdruck – Nähe kommt zu kurz
- Tabuisierung von Körperlichkeit im Alter
Doch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und zwischenmenschlichem Kontakt bleibt bestehen – oft auch dann, wenn Sprache oder geistige Fähigkeiten nachlassen. Der Mangel an Berührung kann Einsamkeit verstärken, depressive Symptome fördern und das Risiko für kognitive Abbauprozesse erhöhen.
Pflegealltag: Zwischen Funktion und Beziehung
Pflegende Menschen – ob beruflich oder privat – kommen ihren Klient:innen körperlich sehr nahe. Doch oft ist diese Nähe funktional: beim Waschen, beim Ankleiden, beim Lagern. Damit eine Berührung emotional wirksam wird, braucht sie eine andere Haltung – sie muss getragen sein von Aufmerksamkeit, Respekt und echter Zuwendung. Eine bewusste Berührung kann einen Pflegeakt in einen Beziehungsmoment verwandeln. Entscheidend ist nicht, was man tut, sondern wie man es tut. Eine sanfte Hand auf dem Rücken beim Aufstehen, ein ruhiger Druck während der Mobilisation, ein aufmerksames Streichen über den Arm – all das schafft Verbindung.
Wenig Aufwand, grosse Wirkung
Es braucht nicht viel, um achtsame Berührung in den Alltag zu integrieren. Hier einige Möglichkeiten, die sich bewährt haben:
Achtsame Berührungstechniken:
- Berührungsrituale etablieren: z. B. ein liebevoller Händedruck zur Begrüssung oder ein kurzes Halten der Hand beim Gespräch
- Langsame, rhythmische Streichbewegungen auf Rücken, Armen oder Händen
- Berührende Pflege mit warmem Waschlappen oder duftenden Ölen – beispielsweise als Mini-Handmassage nach dem Waschen
- Körperkontakt während belastender Situationen, beispielsweise während medizinischer Eingriffe
- Berührungsangebote in Gruppen: beispielsweise Hände reichen beim Sitzkreis, Gruppengymnastik mit Partnerübungen
- Auch Klangmassagen, Basale Stimulation oder Aromapflege können gezielt Körperwahrnehmung und Berührung fördern.

Nähe auch ohne Worte: Berührung bei Demenz
Bei Menschen mit Demenz kann Berührung zum wichtigsten Kommunikationskanal werden. Wenn Sprache nicht mehr trägt, bleiben Gesten, Mimik – und körperliche Nähe. Eine vertraute Berührung kann beruhigen, Orientierung geben und emotionale Sicherheit schaffen. Wichtig ist dabei, individuelle Vorlieben zu kennen: Manche Menschen mögen beispielsweise nur bestimmte Körperbereiche berührt zu bekommen oder reagieren empfindlich auf bestimmte Stoffe oder Temperaturen. Regelmässigkeit, Respekt und Empathie sind entscheidend.
Was tun, wenn niemand da ist?
Nicht alle älteren Menschen leben in einer Pflegeeinrichtung oder haben regelmässige soziale Kontakte. Doch auch in diesen Situationen gibt es Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Körperkontakt zu stillen:
- Selbstberührung – zum Biespiel das sanfte Streichen der eigenen Arme oder Wangen, bewusstes Eincremen
- Hilfsmittel wie Gewichtdecken, Kuscheltiere, Umarmungskissen – diese vermitteln ein Gefühl von gehalten werden
- Haustiere – Streicheleinheiten mit einem Hund oder einer Katze wirken oft Wunder
- Berührung durch Natur – zum Beispiel Barfussgehen im Gras, das Umarmen eines Baumes, Baden
- Berührungsangebote in der Gemeinde – zum Beispiel Tanzgruppen, Sitz-Yoga, Massagegruppen
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