Psychotherapie im Alter: Lohnt sich das noch? | silberFuchs

Psychotherapie im Alter: Lohnt sich das noch?

Prävention und Therapie, Startseite | 0 comments

Im Alter tragen wir oft schwere seelische Lasten mit uns: Verluste, Einsamkeit, körperliche Beschwerden oder Ängste. Doch wer sagt, dass man sich damit abfinden muss? Psychotherapie kann helfen, neue Perspektiven zu gewinnen, emotionale Stärke zurückzugewinnen und das Leben wieder mit Sinn zu füllen – selbst mit über 70, 80 oder 90 Jahren.

„Was bringt mir Therapie jetzt noch?“ oder „In meinem Alter nochmal alles hochholen? Dieses Leid spare ich mir lieber“ sind Sätze, die Sie vielleicht von sich selbst kennen. Doch Ängste, depressive Stimmung, Suchtmittelabhängigkeiten, Schlafprobleme, Einsamkeit oder belastende Erinnerungen hören nicht einfach auf, nur weil man älter wird – oder sie verdrängt. 

Im Gegenteil: Viele Herausforderungen im Alter stellen die psychische Gesundheit zusätzlich auf die Probe. Menschen über 60 haben heute noch viele Jahre vor sich, oft über zwei Jahrzehnte. Und diese Zeit verdient es, so lebenswert wie möglich gestaltet zu werden. Studien und Erfahrungen aus der Praxis* zeigen: Wer sich im Alter psychologische Unterstützung holt, kann oft wieder neuen Lebensmut fassen. Es lohnt sich, darüber zu sprechen – und sich helfen zu lassen.

Alter ist nicht gleich alt – vom dritten und vierten Lebensalter

Die moderne Gerontologie unterscheidet zwischen dem „dritten Lebensalter“, das mit dem Renteneintritt beginnt, und dem „vierten Lebensalter“, in dem altersbedingte Einschränkungen so stark werden, dass sie nicht mehr kompensiert werden können. Im dritten Lebensalter sind viele Menschen körperlich, geistig und sozial deutlich aktiver als noch vor wenigen Jahrzehnten. Gerade diese Phase ist geprägt von zahlreichen Übergängen: Verlust von Partnern, Umzug, Pensionierung, körperliche Veränderungen, finanzielle Unsicherheiten.

All das verlangt hohe Anpassungsleistungen – und eröffnet damit einen wichtigen Ansatzpunkt für Psychotherapie: die Stärkung von Resilienz, Bewältigungskompetenzen und Lebenssinn. Die entscheidende Frage ist daher nicht: „Lohnt sich Psychotherapie im Alter noch?“ sondern vielmehr: „Warum wird sie nicht viel selbstverständlicher in Anspruch genommen?“

Die unterschätzte Zielgruppe

Die Vorstellung, ältere Menschen seien weniger therapiefähig, stammt aus der frühen Psychoanalyse – Sigmund Freud selbst zweifelte an der Plastizität der Psyche im Alter. Später korrigierte er sich. Und heute belegen zahlreiche Studien: Psychotherapie ist im Alter genauso wirksam wie in früheren Lebensphasen. Dennoch ist die psychotherapeutische Versorgung älterer Menschen nach wie vor unterrepräsentiert.

Nur rund ein Prozent der Patienten in psychotherapeutischen Praxen sind über 60 Jahre alt. Und das, obwohl rund 25 Prozent der über 65-Jährigen unter einer oder mehreren psychischen Störungen leiden – vor allem Depressionen, Angststörungen, Demenz oder Schlafstörungen. Hinzu kommt ein trauriger Spitzenwert: Im Vergleich über alle Altersgruppen hinweg ist die Suizidrate älterer Menschen nebst der Suizidrate junger Erwachsener stark erhöht.

Was Psychotherapie im Alter leisten kann

Psychotherapie mit älteren Menschen unterscheidet sich inhaltlich weniger durch die Methoden – als vielmehr durch die Haltung, die Themen und die Flexibilität im therapeutischen Setting. Folgende Aspekte spielen eine besondere Rolle:

Die Bedeutung des Körpers
Mit zunehmendem Alter rückt der Körper stärker ins Zentrum des Erlebens. Schmerzen, Einschränkungen, chronische Erkrankungen wirken sich psychisch aus. Gleichzeitig werden psychische Symptome wie somatoforme Störungen oft als „altersbedingt“ fehlinterpretiert – obwohl sie gut psychotherapeutisch behandelbar wären.
Biografische Lasten
Viele heute über 70-Jährige haben Krieg, Flucht oder elterliche Trennung erlebt. Diese frühen Traumata wirken oft bis ins hohe Alter nach – und bleiben unbehandelt, wenn sie nicht gezielt angesprochen werden.
Altersbedingte Aufgaben und Verluste
Der Übergang in den Ruhestand, Rollenwechsel, veränderte Sexualität oder das Nachlassen der sozialen Kontakte fordern emotionale Neuorientierung. Psychotherapie kann helfen, sich neu zu positionieren, Ziele zu entwickeln, Abschiede zu verarbeiten und neuen Sinn zu finden.
Rollenerwartungen und gesellschaftliche Bilder
In dörflichen Gemeinschaften wie auch in Familien sind oft traditionelle Vorstellungen präsent, wie sich „Alte“ zu verhalten haben. Wenn ein 75-Jähriger eine neue Beziehung eingeht oder eine Therapie beginnt, kann das auf Unverständnis stossen – auch beim Therapeuten selbst. Eine reflektierte, vorurteilsfreie Haltung ist hier essenziell.
Therapiespezifische Anpassungen
Ältere Menschen brauchen oft mehr Wiederholungen, klare Struktur, visuelle Hilfen oder langsamere Gesprächsführung. Auch das Setting – Hausbesuche, Zusammenarbeit mit Pflegepersonal oder Angehörigen – sollte flexibel gestaltet werden.
Ältere Männer, die offensichtlich ausgeglichen sind.

Therapieziele im Alter: Wachstum, nicht nur Heilung

Psychotherapie im Alter zielt nicht nur auf Symptomreduktion. Sie kann und soll:

• das Selbstwertgefühl stärken
• emotionale Entlastung bieten
• biografische Themen integrieren
• neue Copingstrategien entwickeln helfen
• soziale Beziehungen verbessern
• Lebensfreude und Sinn wiederherstellen Besonders bewährt haben sich Lebensrückblick-Interventionen, die Ressourcen aktivieren, Sinn stiften und das Gefühl von Selbstwirksamkeit stärken.

Fazit: Ein „Ja“ ohne Vorbehalt

Psychotherapie im Alter lohnt sich – nicht trotz, sondern gerade wegen der besonderen Herausforderungen dieser Lebensphase. Wer mit 60 in den Ruhestand geht, hat im Durchschnitt noch ein Drittel seines Erwachsenenlebens vor sich.

Die Wissenschaft hat längst gezeigt, dass die seelische Plastizität bis ins hohe Alter erhalten bleibt. Es liegt nun an der Gesellschaft – und an uns allen – diese Erkenntnisse in Versorgung, Haltung und Praxis zu übersetzen.

0 Comments

Submit a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert